Tag 8 – Die Christusstatue

Montag, der 26. Juni

Hallo,

gestern beim Frühstück saßen am Nebentisch zwei Ungarn, Boglárka und Balázs. Balázs, der Mann, kam etwa eine halbe Stunde vor Boglarka, der Frau, und holte einen Teller nach dem anderen vom Buffet. Offensichtlich wollte er jedes Gericht, das auf dem Buffet herumsteht, probieren. Er richtete jedes auf einem neuen Teller sorgfältig an, damit sich nicht zwei Gerichte vermischten. Die selbst gesetzte Aufgabe war nicht leicht. Alles auf dem kleinen Tisch unterzubringen, den ihm der Kellner zugewiesen hatte, erforderte einiges an Geschick. Balázs hatte sich von Lissabons Architekturkonzept inspirieren lassen und scheute sich nicht, für die vielen Teller eine zweite und dritte Ebene einzurichten. Eine Glanzleistung der Baukunst.

Boglárka erschien, als Balázs sein Mahl bereits beendet hatte. Wahrscheinlich hatte er ihr kurz eine Nachricht geschickt. Sie war bei der Speisenwahl nicht so akribisch darauf bedacht, alles zu probieren. Sie beendete ihre Gänge zum Buffet bereits, nachdem sie mit der ersten Ebene fertig war.

Die beiden hätten gleichzeitig essen können, wenn der Kellner ihnen einen größeren Tisch zugewiesen hätte. Aber bei ihrem letztem Aufenthalt war es zu einem Tellerengpass gekommen. Alle verfügbaren Platten waren auf der sich bedrohlich durchbiegenden Tischplatte verbaut gewesen. Am Buffet hatte sich eine Schlange bis auf die Straße gebildet, und ein Gast hatte den Geschäftsführer an der Krawatte in den Frühstücksraum geführt, um ihn auf den Missstand aufmerksam zu machen. Diesmal wurde nichts dem Zufall überlassen. Ein Kellner hielt an Balázs‘ Tisch Wache und räumte jeden frei werdenden Teller unverzüglich ab. Weil sich auch heute eine Krise abzeichnete, nahm ein zweiter Kellner den Platz am Tisch ein, sobald der erste in die Küche lief.

Durch die Umtriebe am Nebentisch war ich so sehr abgelenkt, dass ich vergaß, Houmous zu probieren. Das rächte sich, als wir die Christusstatue in Almada besuchten. Was für ein Gedränge!

Almada liegt am anderen Ufer des Tajo. Um hinüberzugelangen, gibt es seit 1966 zwei Möglichkeiten. Vorher gab es nur den Fährbetrieb. Präsident Salazar hatte sich zu Ehren eine Brücke eingeweiht und sie folgerichtig nach sich benannt. Sein Diktator-Kollege und Nachfolger Marcelo Caetano wurde am 25. April 1974 in der Nelkenrevolution gestürzt. Seither trägt die Brücke dieses Datum im Namen. Sie kann nur von Kraftfahrzeugen und Zügen befahren werden. Fußgänger benutzen nach wie vor das Boot aus der Anfangszeit des Fährbetriebs.

Die Christusstatue steht in der sengenden Sonne auf einem Turm auf einem Berg. An allen vier Ecken steht ein Sockel. Für jeden Evangelisten einer. Johannes und Matthäus waren von ihren Sockeln herabgestiegen. Dass nur zwei fortgegangen waren, machte mich stutzig. Bei dreien wäre ich davon ausgegangen, die sind eine Runde Skat kloppen, bei vieren hätte ich Schaf- oder Doppelkopf vermutet. Die Zahl zwei ließ nur einen Schluss zu: Lukas und Markus hatten beim letzten Mal gemogelt, durften nicht mehr mitspielen und mussten deshalb in der Sonne warten.

 

Als ich eingequetscht in der überfüllten Fähre zurückfuhr, tröstete mich der Gedanke, dass der Houmous aus der Hotelküche wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, mir ausreichend Platz zu sichern. Überall im Hotel stehen Duftkerzen. Ein Gast mit Knoblauchfahne würde das Duftkonzept zerstören. Der Hotelmanager fürchtet um seine Krawatte und hat bezüglich der Knoblauchnutzung genaue Direktiven erlassen. Der Gardemanger, also der Koch, der für die kalte Küche zuständig ist, darf sich nur bei der Zubereitung des Houmous eine Knoblauchzehe um den Hals hängen. Sobald er damit fertig ist, muss er sie in einem geruchssicheren Knoblauchsafe einschließen, damit der starke Geschmack nicht alles andere überdeckt.

Auf dem Weg ins Hotel hab ich einen örtlichen Supermarkt aufgesucht und dort den Jahresvorrat an Knoblauch aufgekauft. Es handelte sich um eine Knolle. Morgen früh gehe ich auf Nummer sicher. Dann pimpe ich den Houmous auf und verschaffe mir so meinen eigenen Freiraum.

Es grüßt dich

Pinky

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Tag 8 – Die Christusstatue

ArtGedeck Michéle Pinkernel

@2023 - ARTGEDECK, Michèle Pinkernell

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