Tag 4 – Die Faragolini
Dienstag, der 18. April
Hallo,
gestern zogen wir unsere Wanderschuhe an und liefen los. Ziel waren die Gärten des Augustus, das Kartäuserkloster und die Faragolini. Letztere sind riesige Felsen, die im Osten der Insel postkartentauglich aus dem Wasser ragen.
Die Gärten und das Kloster waren schnell abgeklappert. Außer uns hatten alle anderen Touris auf der Insel und viele vom Festland dieselbe Idee gehabt.
Die Faragolini besichtigten die meisten anderen vom Wasser aus. Wahrscheinlich handelte es sich um den Teil, dem das mare mosso nichts ausmacht. Vielleicht ist es auch der fußkranke Teil, die internationale Vereinigung der Couchpotatoes oder der Teil, der wenig Zeit aber viel vor hat. Kurz und gut: Die Insel wird von vielen Schiffen mit Lautsprechern umrundet.
Die Lautsprecher machten ihrem Namen viel Ehre. Matthias freute sich, nicht auf einem Boot zu sein. Sein Magen hätte dem Geschaukel mühelos Stand gehalten, aber für seine Ohren war der Lärm selbst auf die Entfernung zu viel.
Matthias hatte geplant, den gesamten Ostteil der Insel zu umrunden. Ich hingegen wollte die Faragolini aus der Nähe sehen.
Ob ich denn die ganze Strecke schaffen würde, nachdem wir bis zum Meer hinuntergestiegen seien, wollte er wissen.
Das könnte ich nur experimentell bestimmen. Matthias ist da weit weniger Wissenschaftler als ich. Er ist mehr der Entdecker und verzichtet auf tiefgehende Betrachtungen. Ich überlasse Entdeckungen gern auch mal anderen Leuten. Ein klassischer Trade-off oder auch Zielkonflikt, wie wir BWLer sagen.
Ich war froh, dass wir in der Nebensaison unterwegs sind. Den schmalen Weg am Ostufer entlang wollte ich nicht gern mit vielen anderen teilen. Ständig überholt zu werden, hätte mich auf Dauer entmutigt und mir die Laune verhagelt.
Am Ende der Wanderung machten wir noch einen Abstecher zum Arco naturale, einem natürlichen Bogen aus Felsen.
Zwei amerikanische Wanderinnen baten mich, Fotos von ihnen zu machen. Außer den üblichen albernen Posen, wo um die Wette gelächelt wird, hatten die beiden auch Lust,
auf Experimente wie beispielsweise scheinbar den Bogen abzustützen. Es dauerte ein wenig, bis beide richtig standen, aber es gelang. Die beiden freuten sich ungemein und boten mir an, mich zu fotografieren. Ich lehnte dankend ab. Am Ende einer Wanderung sehe ich sehr unentspannt aus. Das möchte ich nicht festhalten.
Matthias war bereits auf dem Rückweg. Ein bärtiger, junger Mann fragte ihn, ob es da unten etwas zu sehen gebe. Mit emsländischer Eloquenz antwortete er: „Ja!“
„Komm runter, Baby!“, rief der Bärtige nach oben.
„Das mache ich nicht für nichts“, erwiderte Baby.
Als ich bei den beiden ankam, wurde auch ich gefragt, wie es am Ende des Weges sei.
Atemlos keuchte ich: „Atemberaubend.“
Ob die beiden die Doppeldeutigkeit verstanden, weiß ich nicht. Baby war skeptisch und ich außer Atem, also zog ich mein Handy heraus und zeigte meine Fotos vom Naturbogen. Baby war überzeugt, der Bärtige bewegungsfreudig; damit trennten sich unsere Wege.
Abends waren wir im Ristorante La Capannina. Dort lernten wir Manuela und Stefan aus Dessau kennen,
die beide in der IT-Branche arbeiten. Sie haben ein kleines Unternehmen hochgezogen, kümmern sich um Restaurants, sind sehr nett und reisefreudig.
Im Laufe des Abends fingen die Kellner zweimal an, ihre Tambourins zu zücken und zu singen. Unglaublich. Es war genauso wie man es aus den Filmen kennt, die früher Sonntagnachmittags in der ARD liefen.
Beim ersten Mal wurde einer Frau eine Liebeserklärung gemacht, beim zweiten Mal hatte jemand Geburtstag.
Die Besungenen hießen beide Baby – zumindest, wenn man den Liedtexten glaubt.
Ich freue mich jedenfalls, dass meine Eltern bei der Namenswahl phantasievoller waren.
Es grüßt dich
Pinky