Tag 7 – Gipfelkreuze in Lissabon
Sonntag, der 25. Juni
Hallo,
gestern beim Frühstück saßen am Tisch neben uns die zwei Niederländer Jip und Janneke. Während Jip bei jedem Gang zum Büffet die Möglichkeiten seines Tellers voll ausreizte, wollte Janneke ihren Teller nicht überfordern. Auf Jips Teller räkelten sich Croissants und Brioches auf Körnerbrötchen und Kürbiskernstangen. Wurst, Käse und Fisch lugten dazwischen hervor. Zusammengehalten wurde die Skulptur von Marmelade und Houmous. Janneke drapierte auf ihrem Teller eine halbe Kiwi. Aus Mitleid mit der einsamen Frucht legte sie eine Rosine als Gesellschafterin dazu.
Jip und Janneke verfolgten zwei völlig unterschiedliche Konzepte, um sich den Beschwerlichkeiten zu stellen, die Lissabon bietet. Jip setzte auf Kraft. Er wollte beim Erkunden der Stadt nicht vor Erschöpfung zusammenbrechen. Das kann ich gut verstehen. Allerdings hatte auch Jannekes Ansatz seine Berechtigung. Bei den vielen Bergen, die namenlos in Lissabon herumstehen, möchte sie ihre Atemwege freihalten. Sie hat offensichtlich gemerkt, was diese Stadt am meisten braucht: Sauerstoffzelte.
Lissabon könnte problemlos Städtebergtouren anbieten. Auf dem Weg zwischen zwei Sehenswürdigkeiten überquert man höhentechnisch schon mal den Mont Blanc. Das Gipfelkreuz ist meistens nicht auf dem Berg selbst angebracht sondern auf der Kirche, die oben drauf steht. Das ist natürlich nur konsequent. Denn der höchste Punkt ist der Kirchturm, und in den allermeisten Fällen kann der noch erklommen werden, vorausgesetzt man hat ein Atemgerät dabei. Dass die Kirche nicht als Bungalow konzipiert ist sondern überflüssigerweise in die Höhe ragt, ist nach meinem Erachten sträflicher Leichtsinn.
Bewundernd beobachtete ich, dass einige Frauen in Stöckelschuhen unterwegs waren. Zielsicher trafen ihre Absätze bei jedem Schritt den Stein. Die Schwierigkeit ist, dass Lissabon einen Knebelvertrag mit einer Kopfsteinpflasterei unterzeichnet hat. Deswegen sind alle Gehwege kopfsteingepflastert. Die Pflasterer haben ihre dröge Arbeit dadurch aufgelockert, dass sie die Bürgersteige und Plätze mit Pflastermosaiken verziert haben. Mit Stöckelschuhen unfallfrei durch diese Stadt zu gelangen, erfordert eine Perfektion der Schrittführung, der nicht genug gehuldigt werden kann. Die Stellen, an denen sich die Pflastersteine gelockert haben, zeugen von den Gehübungen der Debütantinnen.
Bereits schweißtriefend nahmen wir etwas später wahr, dass inzwischen nur noch Touristen unterwegs waren. Pfiffig hatten sich die Portugiesen gegen Mittag in den Schatten zurückgezogen. Wir wollten es ihnen gleichtun, aber vor uns lag noch eine Bergtour. Einsam ragt auch unser Hotel auf einem Berg in die Höhe. Die Aussicht ist super, aber hart erarbeitet. Ich muss unbedingt nachgucken, ob sie ein Gipfelkreuz auf dem Dach aufgestellt haben.
Es dauerte lange, bis wir uns wieder raustrauten. Aber da wir das Mittagessen ausgelassen hatten, knurrten unsere Mägen gegen sechs Uhr so laut, dass wir Angst bekamen. Das nächstgelegene Restaurant hatte eine gute Bewertung und servierte ein Mahl auf Knoblauchbasis. Während an den portugiesischen Gerichte, die wir bisher probiert hatten, Knoblauchzehen allenfalls vorbeigetragen wurden, ging dieser Koch offensichtlich davon aus, dass eine Knoblauchzehe nicht gerne allein bleibt.
Bereits beim Probieren sicherte ich mir viel Freiraum. Auf unserem weiteren Bummel durch die Stadt teilte sich die Menschenmenge. Bei Fotoaufnahmen stand niemand mehr im Weg und in der U-Bahn hatten wir einen Sitzplatz. Die übrigen Passagiere drängten sich auf der anderen Seite des Wagens. Eine ältere Frau, der ich meinen Platz anbot, lief grün an und erklärte mir, sie stehe ganz gern.
Heute beim Frühstück werde ich den Houmous probieren. Wir wollen heute eine weite Strecke mit der U-Bahn fahren. Anders als die ältere Frau gestern sitz ich ganz gern mal.
Es grüßt dich
Pinky