Tag 10 – Auf zu den Azoren!
Mittwoch, der 28. Juni
Hallo,
gestern flogen wir weiter. Bisher kannte ich das Azoren-Hoch nur aus dem Wetterbericht. Wo sich der Ort zu dem Hoch befindet, fand ich spannend. Es handelt sich um eine Inselgruppe mitten im Atlantik auf dem halben Weg nach Amerika.
Im Sicherheitsbereich am Flughafen von Lissabon waren viele Bänder gespannt. Normalerweise werden dadurch viele Menschen dazu gebracht, sich beim Warten Platz sparend aufzustellen. Ohne Bänder stünden sie auch gerne mal schlecht gelaunt im Weg herum. Die schlechte Laune wird durch die Bänder zwar nicht verhindert, aber das Im-Weg-stehen schon. Hier waren wenige Menschen, viel Platz und sehr viele Bänder. Die Flughafenleitung wollte dadurch sicherstellen, dass jeder Passagier vor dem Flug sein Tagesziel von 10.000 Schritten erreichte. Brav und einsam schoben wir unsere Koffer zeilenweise durch die Halle. Ihre beeindruckende Größe schüchterte uns ein. Ich bewunderte die logistische Leistung, sie durch Bänder aufzuteilen. Derjenige, der diesen Job erledigt hatte, hatte seinen Chef wohl lange erfolgreich verärgert. Vielleicht hatte er auch bei der täglichen Jobvergabe das kurze Streichholz gezogen. Um mir darüber Klarheit zu verschaffen, hätte gerne nachgefragt, aber es war niemand zu sehen.
Nach der Sicherheitskontrolle durften wir geradeaus weiterlaufen. Unser Schrittkonto füllte sich auf 20.000. Danach war der Akku des Schrittzählers leer.
Als wir im Flugzeug saßen, waren die meisten Schritte getan. Die wenigen Schritte vom Flugzeug am Gepäckband vorbei zum Taxi konnten wir selber zählen. Die Finger reichten aus.
Miguel, der Taxifahrer, begrüßte uns freundlich und erklärte uns die Insel. Heute sei das Wetter gut. Gestern sei der Rauch von Bränden in Kanada hier vorbeigezogen. Das ließ mich aufhorchen. Am Vorabend war der Himmel über Lissabon eingetrübt gewesen. Die Sonne hatte als rote Scheibe hoch über dem Horizont gehangen.
In der Stunde, bevor die Sonne untergeht, hüllt sie die Welt normalerweise in einen warmen Farbton. Das macht sie natürlich auch morgens, kurz nachdem sie aufgegangen ist, aber da ist meistens noch keiner wach. Maler lieben dieses Licht. Deswegen nennen sie diese Zeit „Goldene Stunde“. Diese goldene Stunde war vorgestern Abend ausgefallen. Ich hatte einen Sandsturm aus Afrika vermutet, aber Miguels Erklärung leuchtete mir auch ein.
Auf den Azoren wird das Wetter von morgen schon heute getestet. Wir sitzen hier in einer Wetter-Sneak-Preview. Spoileralarm: Euch steht ein windiger Tag bevor.
Abends in der Hotelbar klärten uns Gundel und Gunther darüber auf, dass diese Insel oll sei. Alle Nachbarinseln seien viel größer und schöner. Da sei viel mehr los. Hier seien die Menschen unfreundlich und man könne nichts unternehmen. Fassungslos hörten die beiden, dass wir hier über eine Woche bleiben wollten. Es gebe doch noch so viel andere Inseln zu entdecken.
Sicher ist es ärgerlich, wenn man unfreundlich behandelt wird. Dafür kann aber die Insel nichts. Sicher gibt es noch andere Inseln, aber wir haben jeder nur ein Augenpaar. Später im Zimmer beschlossen wir, es schön zu finden, auch wenn wir nur die olle Aussicht über den olle Jachthafen auf den ollen Atlantik hatten. Gundel und Gunther werden es wohl als persönliche Beleidigung ansehen, wenn es uns hier aus purer Boshaftigkeit gefällt.
Es grüßt dich
Pinky
