Tag 3 – Auf der Suche nach Walter

Mittwoch, der 21. Juni

Hallo,

Im Großraum Porto leben etwa 1,7 Mio. Menschen. Den meisten davon begegnet man im Laufe eines Tages in der Altstadt. Wahrscheinlich kam ich mir deshalb vor wie in dem Wimmelbuch „Wo steckt Walter?“. In den Bilderbüchern von Martin Handford verstecken sich auf jeder Doppelseite Walter und seine Freunde. Obwohl sie rot-weiß-gestreifte Mützen, Schal und Pullover tragen, sind sie schwer zu finden.

Dass Walter bei der Hitze Mütze und Schal ausgezogen hat, kann ich nachvollziehen, aber zumindest das rot-weiß-gestreifte T-Shirt hätte Walter anbehalten sollen.

Ich hab mir mehrere Strategien überlegt, wie man ihn und seine Freunde finden kann:

Im BWL-Studium hab ich die Methode der vollständigen Enumeration gelernt. Trotz des protzigen Namens ist damit nur gemeint, jeden, dem man begegnet, zu fragen. Das schien mir wenig praktikabel. Nicht dass es mir an Einsatzfreude mangeln würde, aber ehrlich gesagt, wäre ich zu nichts anderem mehr gekommen, wenn ich wirklich jeden nach dem Namen gefragt hätte. Vor allem würde es in der Praxis ja nicht reichen, jemanden zu fragen, wie er heißt. Man müsste danach noch ein wenig Konversation treiben.

Auch eine Abwandlung des Prinzips erwies sich als undurchführbar: Jeden Befragten dazu aufzufordern mitzusuchen. In diesem Fall wächst die Anzahl der abgearbeiteten Personen nämlich explosionsartig, und ich wäre überraschend schnell am Ziel gewesen. Im ungünstigsten Fall nach der zwanzigsten Befragung. Diese Strategie ist nur daran gescheitert, dass sich die ersten Befragten schlichtweg geweigert haben, sich ein blaues Zeichen auf die Stirn stempeln zu lassen. Über die Farbe hätten wir ja zur Not auch verhandeln können, wichtig war nur, dass sie auffällig und nicht abwaschbar war. Bei den Temperaturen verschwindet jeder Stempel durch die Schweißbildung in kürzester Zeit. Meine Erläuterung, dass ich sonst die bereits Befragten nicht von den Unbefragten unterscheiden könne, interessierte keinen. Es wurde argumentiert, dass der Stempel zu auffällig sei und das Outfit störe. Wie soll man da vernünftig arbeiten?

Die Hügel Portos sind nur deshalb nicht durchnummeriert, weil es ab dem 493. Hügel sehr unübersichtlich wird. Durch die vielen Hügel geraten die Ebenen durcheinander. 60 Meter über der belebten Uferstraße, die am Duoro entlangführt, überquert die U-Bahn die Ponte Luis I. Ohne an Höhe zu verlieren, taucht sie ins Erdreich ab und gießt tief unter dem Bahnhof Menschen auf den Bahnsteig, die dann durch das Stadtbild laufen und die Suche nach Walter noch zusätzlich erschweren.

 

Ich hab dann ein Schild aufgestellt, auf dem stand, Walter solle sich in unserem Hotel melden.

Wir fuhren also unverrichteter Dinge zurück. Unser Hotel befindet sich an der Atlantikküste. Wohlwollend deutete ich es als Zeichen der Versöhnung, dass uns von den 1,7 Mio. Bewohnern keiner gefolgt ist. Dann wäre der Strand voll gewesen, und wir hätten nichts vom Sonnenuntergang gesehen.

Vielleicht meldet sich Walter ja nachher im Hotel.

Schöne Grüße
Pinky

…und hier geht’s zum Video

Tag 3 – Auf der Suche nach Walter

ArtGedeck Michéle Pinkernel

@2023 - ARTGEDECK, Michèle Pinkernell

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