Tag 5 – Die Villentour

Mittwoch, den 19. April

Hallo,

g’rad‘ hab ich mir das Lied über die Caprifischer angehört. Wir haben alles falsch gemacht. Wir müssten aufs Festland, um zu sehen, wie bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt. Außerdem müssten wir darauf warten, dass vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt.
Das Lied beschreibt das sehr enge Zeitfenster, wo es nicht regnet, die Sonne untergeht, der Mond sichelförmig blinkt und wo Vico und die schöne Marie ein glückliches Paar sind.
Ich wäre ein wenig unspezifischer geblieben, dann könnten sich mehr Leute angesprochen fühlen. Beispielsweise aus der schönen Marie eine leidlich gut aussehende Maus gemacht und rubbeldiekatz, wäre die halbe Nation gemeint.

Wie dem auch sei, die Wanderschuhe sind schwer. Deswegen mussten drei Abendkleider, ein Smoking, ein Zylinder mit Frack und die passenden Schuhe zu Hause bleiben. Wahrscheinlich würden wir die Insel weit weniger emsig abklappern, hätten wir nicht dieses Opfer gebracht.
Also auf zur Villentour: Villa Jovis und Villa Lysis.

Zum Haus des Göttervaters geht selbstredend bergan. Wir setzten uns ganz schnell ans Ende aller anderen Touris, die auch schwere Wanderschuhe dabei hatten. Auch die, die nur Turnschuhe trugen, zogen an uns vorbei. Als letztes überholten uns die Stöckelbeschuhten in Abendkleid und Frack.
Nach einer Weile kam uns der Pulk entgegen.
„Die Villa Jovis hat zu“, erklärte uns der holländische Sprecher der Gruppe. „Hier gibt’s nichts zu sehen.“

Ich hatte vorher auf eine Karte geschaut und glaubte mich vage zu erinnern, dass es außer der Villa Jovis noch einen Pfad geben müsse, von dem aus man in die Gegend gucken könnte. Als Emsländer hört Matthias sowieso nicht auf Holländer.
Wäre ja noch schöner!
Kopfschüttelnd folgte die Gruppe ihrem Guide nach unten und wir setzten unseren Weg fort.
Nach ungefähr 500 m lud uns Luigi ein, den Garten Astarita zu besichtigen. Luigi hat schlohweiße Haare und spricht als einziger Caprese nur italienisch. Der Eintritt war frei. Vom Garten aus gab’s nichts zu sehen außer der amalfischen Küste und den Faragolini vom Vortag.

Gemauerter Bogen über einer Bank. Ausblick auf die Küste, das Meer und eine leicht bewölkten Himmel,
Grüne Eidechse sitzt auf einem felsigen Boden. Hinter ihr scheint der blaue Himmel zwischen den Zweigen der Bäume durch.

Wahrscheinlich hatte die Gruppe die Felsen und die Küste bereits vom Flugzeug aus gesehen und fand sie langweilig.

Wir streiften eine Stunde durch den Park und entdeckten ein paar Aussichtsplattformen. Als wir zu einer Plattform mit langem Abstieg unterwegs waren, erklärte uns Luigi, dass er in einer halben Stunde schlösse.
Ich habe keinerlei sportliche Ambitionen, aber da packte mich der Ehrgeiz: Das wollte ich schaffen.
Der Abstieg dauerte 5 Minuten. Ganz unten saß ein Pärchen, das den Ausblick genoss. Als deutsche Touristin ließ ich die beiden natürlich an meinem Wissen teilhaben. In 20 Minuten werde geschlossen.

 

Auch wenn den beiden der Ausblick gefiel, wollten sie nicht bis zur Öffnung am nächsten Morgen bleiben. Vielleicht fühlten sie sich auch in ihrer Zweisamkeit gestört. Jedenfalls gaben sie die Bank frei. Sie hatten wirklich einen schönen Platz gewählt: Rundumblick über den Golf von Neapel.
Trotz Guckerei erreichte ich rechtzeitig den Ausgang. Ich bin überraschend fit. Vielleicht sollte ich doch mal anfangen, für einen Marathon zu trainieren.
Nach dem Park setzten Matthias und ich unseren Weg zur Villa Jovis fort. Am Ende der Straße stellten wir fest: Die Villa hatte zu. Zumindest in diesem Punkt hatte die Gruppe recht.
„Wegen Bauarbeiten geschlossen“ stand da.

Was soll ich sagen? Das war auch dringend nötig. Das war keine Villa. Das war eine Ruine. Es wird wohl lange dauern, bis die wieder öffnen können.
Wir fanden den kleinen Pfad, den wir auf der Karte entdeckt hatten und schritten zur zweiten Villa. Mal sehen, ob die Villa Lysis in einem besseren Zustand ist.
Es war ein steiler Abstieg, für den sich die Wanderschuhe hervorragend eigneten. Wir begegneten einem Wiedehopf, mehreren Eidechsen und ein paar unerschrockenen Touristen.
Die Villa Lysis ist eine Industriellenvilla auf dem höchsten technischen Stand ihrer Bauzeit. Sie liegt am Rand einer Steilküste mit Blick auf Capri Stadt. Es gibt ein eigenes Zimmer zum Kiffen und genug Platz, um Hanf anzubauen.
Was will man mehr?

Es grüßt dich
Pinky

ArtGedeck Michéle Pinkernel

@2023 - ARTGEDECK, Michèle Pinkernell

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